Kunstwerk des Monats September

01. September 2024
Von Kanaldeckeln und Jazzplakaten – Die Anfänge des Steidl Verlags
Vorgestellt von Michel Graver


KDM September 24


Vor genau 55 Jahren, am 1. September 1969, gründet Gerhard Steidl in der Bürgerstraße 26 den »Steidl Verlag«. In der eigenen Siebdruckwerkstatt entstanden noch Ende 1969 der Göttinger Künstlerkalender und der Almanach der Galerie im Centre. Schon im Jahr darauf druckte Gerhard Steidl für den »Verlag *) Udo Breger« Graphikmappen von Timm Ulrichs und Jochen Gerz.
Der Vortrag in der Reihe »Kunstwerk des Monats« widmet sich den Anfangsjahren des Steidl Verlages, wobei sowohl Auftragsarbeiten für Göttinger Kulturinstitutionen, als auch Künstlereditionen und Mappen vorgestellt werden. Zwar wird der übliche Rahmen der Vortragsreihe gesprengt - steht doch nicht ein einzelnes Kunstwerk im Vordergrund - dafür wird jedoch ein erster Einblick in eine Fülle von bislang kaum erforschten oder systematisch gesichteten Plakaten und Kunstwerken um 1970 ermöglicht.
Sowohl die Plakatsammlung der Kunstsammlung Göttingen als auch das Verlagsarchiv des Steidl Verlages bieten Objekte. Beide Bestände sind bislang nur grob erfasst: Die Plakatsammlung wurde 2023 im Rahmen eines Studierendenprojektes inventarisiert; die Graphiksammlung des Steidl Verlages ist hingegen eher unsystematisch auf verschiedene Graphikschränke verteilt und nicht inventarisiert. Dies macht jedoch förmlich den Reiz der Recherche aus - die seit dem Frühjahr 2024 begleitend zur sonstigen Verlagsarbeit im Steidl Verlag betrieben wurde. Durch das erste Sichten und Digitalisieren der Siebdruckbestände wurde bislang ein vorläufiges Verzeichnis der Siebdrucke aus der Werkstatt Steidls erstellt, ein erster Überblick über das frühe Wirken Gerhard Steidls. Der Vortrag bietet dabei jedoch keine chronologische Betrachtung, sondern stellt ausgewählte Objekte in den Vordergrund. So die Siebdruckmappe »Kanaldeckel 1962/64« von Timm Ulrichs, oder das Plakat zum Stück »Autofriedhof« von Fernando Arrabal im Jungen Theater. Aus dem Bestand der Kunstsammlung wird neben einem Jazzplakat für das Centre vor allem das Plakat zum 2. Göttinger Kunstmarkt 1971 vorgestellt, das einen Siebdruck von Werner Nöfer beinhaltet. Ausgehend von diesen einzelnen Objekten wird auch die Göttinger Kulturszene der 1960er und 1970er skizziert.
Zwar entstanden die Objekte vor mittlerweile 55 Jahren, doch machte die zeitliche Nähe zum Forschungsgegenstand einen weiteren Reiz aus: Die Protagonisten,die Künstler und Herausgeber, alle zwischen Jg. 1937 und Jg. 1953, stehen zum Teil noch für Rückfragen zur Verfügung. So konnten begleitend zur Sichtung der Siebdrucke Gespräche mit Udo Breger, Herting Treusch von Buttlar, Werner Nöfer und Klaus Staeck geführt werden. Auch Steidls Mitarbeiter »Zinki« liefert verlässlich Auskunft und Anekdoten - anders als Gerhard Steidl. Dieser perfektionierte bekanntlich die Arbeitsweisen und den künstlerischen Anspruch seiner Werkstatt und entwickelte den Steidl Verlag zu einem der renommiertesten Verlage für hochwertige Fotobücher. Mittlerweile 46 Mitarbeitende arbeiten in der Düsteren Straße 4 mit internationalen Fotograf:innen und Autor:innen zusammen, deren Bücher allesamt auf der verlagseigenen Offsetdruckmaschine entstehen. Ein Unikum, das Grass, Lagerfeld, Roni Horn, Jim Dine und weitere Künstler:innen eng mit Göttingen verbindet. Und eben Gerhard Steidl, nachwievor Drucker und Verleger, und zeitlich so eingebunden, dass Gespräche zur Verlagsgeschichte nur selten möglich, doch dann sehr kurzweilig und dienlich sind.
Der Vortrag widmet sich allein den zweieinhalb Jahren in der Bürgerstraße 26 und endet, ehe der wohl erste bedeutende Meilenstein der Verlagsgeschichte so wirklich beginnt: Ab 1970 arbeitet Steidl mit Klaus Staeck zusammen, über 1000 Ausstellungen realisieren beide, alle Plakate und Postkarten der Edition Staeck entstehen in Göttingen - darunter auch gesuchte Multiples von Joseph Beuys.
Davon und von den Fotobüchern des Steidl Verlages ist an anderer Stelle die Rede. So beim bevorstehenden Tag des offenen Denkmals am 8. September 2024, wo u.a. im Kino Méliès der Dokumentarfilm »How to Make a Book with Steidl« präsentiert wird. Weitere Informationen steidlville.de